18
Apr
2008

Besorgt

Gestern fuhr ich am späten Abend mit der S-Bahn auf einer für gewalttätige Übergriffe bekannten Linie (eine der hässlichen Seiten der Großstadt). Ich saß allein in meinem Wagen und konnte durch die großen Scheiben gut in den vorderen Wagen schauen. Ich hatte meine Kopfhörer im Ohr und starrte ohne Ziel einfach geradeaus.
Dann stieg im Wagen vor mir ein etwa 18jähriger "Mann" ein, mit Army-Hose, Kapuzenjacke und Glatze. Er lief mit seinem Fahrrad bis nach hinten, sah mich schließlich und plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Er zeigte mir eindringlich den Stinkefinger, setzte sich dann mit dem Rücken zu mir und der Spuk war vorbei.
Was ging nur in dem Moment im Kopf dieser armseligen Person vor? Fühlte er sich beobachtet, störte ihn meine bloße Anwesenheit (im anderen Wagen!)? Muss ich in Zukunft als erwachsener Mann Angst haben, allein im Dunkeln mit der Bahn zu fahren? Wo sind bei der Jugend die Werte geblieben, die soziale Kompetenz? Und was können wir tun, um daran etwas zu ändern?
Mein Sohn wird in diesem Jahr 11. Ich hoffe, dass es mir gelingt, ihm etwas mehr als Ignoranz, Überheblichkeit und Gewaltbereitschaft beizubringen.

Edit: Passend zum Thema: Spiegel-Online
goldfederchen - 18. Apr, 08:26

Das sind offensichtlich gerade überall die gleichen Bilder. Gestern stand bei uns ein Bericht in der Zeitung, nach dem nun das obligatorische Osterfeuer in einem unserer Stadtteile in Zukunft nicht mehr stattfinden wird. In diesem Jahr hat es, wie schon so oft, wieder wilde Schlägereien gegeben, die von den Verantwortlichen nicht in den Griff zu kriegen waren. Die Polizei hat die Schläger zwar mitgenommen, nach zwei Stunden waren sie aber wieder da und aggressiver als zuvor. Nun also kein Osterfeuer mehr. Es ist nicht das erste Dorffest, dass aufgrund dieser Jugendlichen abgesagt worden ist, in besagtem Stadtteil findet inzwischen fast nichts mehr statt. Schade. Und auf diese Weise haben die Jugendlichen erreicht, was sie bezwecken wollten. Die Dorfgemeinschaft leidet. Ich bin mir nicht sicher, dass diese (durchaus verständliche) Reaktion wirklich die richtige ist.
Auch ich habe versucht, meinen Kindern beizubringen, dass nur ein friedliches Mit- und Nebeneinander auf Dauer sinnvoll ist. Sie haben es auch verstanden. Ich frage mich nur trotzdem manchmal beim Blick in die Welt, ob ich nicht doch einen Fehler gemacht habe in der Erziehung und ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, ihnen beizubringen, wie man die Ellenbogen einsetzt. Ich habe manchmal Angst um sie.

Herr B. - 18. Apr, 08:37

Die Frage ist durchaus berechtigt und beschäftigt mich auch. Mein Sohn wächst sehr behütet und in einer fast dörflichen Atmosphäre auf. Er bekommt zwar vereinzelt ein paar Pöbeleien der Halbstarken mit, aber ansonsten ahnt er vermutlich nicht mal, was "da draußen" - und das ist ja in seiner unmittelbaren Umgebung - so abgeht. Wie viel Ellenbogen ist gut und notwendig? Kommen wir mit einem Stil á la Walldorf-Schule weiter? Oder ist Härte gefragt, um heutzutage bestehen zu können? Wenn ich sehe und lese, was sich abends und nachts allein schon in meinem Viertel abspielt (ehemalige Sozialwohnungen mit hohem Ausländer- und Hartz-IV-Empfänger-Anteil) und dann die generelle Entwicklung in unserem Lande beobachte, mache ich mir auch Sorgen um meinen Sohn.
alex_blue - 18. Apr, 09:56

Die Frage dabei ist ja, in wieweit man sich dann auch wirklich mit solchen Personen auseinandersetzen muß.

Ich bin auch "normal" erzogen, kannte sowas in meiner Jugend nicht. Nun erlebe ich in der S-Bahn, die durch ein eher sozial nicht so dolles Gebiet fährt, auch ab und an Jugendliche, die sich daneben benehmen und anderes Gesocks (Schlägereien allerdings nicht, so schlimm ist es zum Glück auch nicht).
Ich versuche einfach, mich nicht drum zu kümmern.
Aber ansonsten komme ich eigentlich nicht mit Solcherart in Berührung, daher finde ich jetzt auch nicht, das mir von meiner Erziehung her was fehlt.

Ich denke, ein gesundes Selbstbewußtsein ist wichtig. Daß man nicht schon wie ein Opfer auftritt. Das hält viele potentielle Nervensägen schon davon ab, einen blöd anzumachen.

Herr B. - 18. Apr, 10:31

Das ist aber ein schmaler Grat. Wenn Du Dich vier, fünf Halbstarken gegenüber siehst, wird das mit dem Selbstbewusstsein schwierig. Hier werden sogar schon Busfahrer aus dem Bus gezerrt und zusammen getreten, nur, weil der nach einem Fahrschein gefragt hat ... Hierbei hat sich dann zum Glück jemand gekümmert und dem Busfahrer geholfen. Aber die Schwelle zur Gewalt ist verdammt gering geworden.
alex_blue - 18. Apr, 10:36

Das ist klar, in so einer Situation macht man gar nix mehr.

Ich meinte eher so "Standard-Situationen", mh, weiß nicht so genau, wie ichs erklären soll. Wo eben Halbstarke, die nicht von dem von Dir genannten Kaliber sind, sich bißchen aufspielen wollen.

Ich versuche so gut es geht, sowas komplett zu vermeiden, in dem ich eben bestimmte Viertel meide usw.
Ich war bisher glücklicherweise (toi toi toi) noch nicht in einer Situation gewesen, die so gefährlich war.

Das wollte ich ausdrücken. Das man im Bestenfall mit sowas erst gar nicht konfrontiert wird. Und F ist, glaub ich, was den Assi-Level angeht, leider auch vorne mit dabei.
Herr B. - 18. Apr, 12:20

Ich mache das auch so - aber ist es nicht schlimm, dass es überhaupt so weit gekommen ist? Wie sieht das wohl in 10, 20 Jahren aus? Mir wird das jetzt erst wieder richtig bewusst, da ich zum einen kein Auto mehr habe und zum anderen in ein bekanntermaßen schwieriges Viertel gezogen bin ...
Raine - 18. Apr, 10:25

Ich hab mittlerweile auch schon ziemlich Angst durch die Straßen zu laufen, wenn es dunkel ist. Denn leider bleibt es bei vielen Halbstarken nicht nur beim Rumpöbeln, was man ganz locker ignorieren könnte. Da passiert es sogar manchmal, dass Leute von besoffenen Jugendlichen zusammengeschlagen werden, weil sie langeweile haben oder die Person" doof geguckt hat".

Frag mich wirklich, woran das liegt. Perspektivlosigkeit? Falsche Erziehung? Falsches Umfeld?

Herr B. - 18. Apr, 10:34

Es spielen wohl alle Faktoren eine Rolle und sicherlich gibt es kein Allheilmittel. In Ansätzen ist man offenbar bemüht, mit vernünftigen Mitteln dagegen anzukämpfen (z. B. bei den Maikrawallen in Kreuzberg), aber von der großen Politik kommt mir da zu viel heiße Luft.
Das Motiv "Langeweile" wird hier übrigens auch immer wieder als Grund für Schlägereien genannt. Neulich habe ich sogar im Bus mehrere Telefonate mitgehört, in denen sich die Kids gezielt zu Schlägereien verabredet haben ... Willkommen in Berlin!
alex_blue - 18. Apr, 10:42

Aber was bitte kann denn der Staat hier tun ? Das ist doch ziemlich eindeutig auf eine nicht vorhandene Erziehung zurückzuführen ! Wo den Eltern anscheinend alles grad egal ist.
Wie und wodurch kann denn hier der Staat helfen ?

Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen, das bei allen Themen, auch den eindeutig im privaten, familiären Umfeld beheimateten, immer gleich nach dem Staat gerufen wird.

Die Schulen müssen schon viel mehr an Erziehungsarbeit leisten als früher. Aber das ist nicht ihre originäre Aufgabe, dafür sind sie überhaupt nicht aufgestellt und vorbereitet.

Natürlich weiß ich auch nicht, wie man das in den Griff bekommen könnte. Da spielt soviel mit rein: Werteverfall, insgesamt ein Auseinanderfallen gesellschaftlicher Strukturen, sicherlich auch viel Perspektivlosigkeit.
Herr B. - 18. Apr, 12:24

Ich denke, und wie gesagt, in Kreuzberg gibt es da immerhin einige gute Ansätze, dass den jungen Menschen die Perspektiven fehlen. Als Jugendliche wissen sie nicht, wohin sie in ihrer Freizeit können (bei uns im Dorf gibt es nicht einen Bolzplatz oder zumindest ein Tor für die Kids), nach der Schule fehlen die Ausbildungsplätze. Die Schulausbildung selbst ist schwierig, gerade in Schulen mit hohem Ausländeranteil. DA müsste m. E. angesetzt werden, und das kann NUR der Staat. Was nützt die beste Erziehung, wenn in der Schule Chaos herrscht, weil Lehrer fehlen, weil die Kinder kein Deutsch sprechen, die Klassen überfüllt sind etc.
claudi_stern - 18. Apr, 12:31

Habe nur den letzten Kommentar gelesen und kann zum Rest nicht wirklich was sagen, aber den Schulen mit hohem Ausländeranteil fiel mir meine Grundschule ein. Meine beste Freundin und ich die beiden einzigen deutschen Kinder - aber damals war das irgendwie noch was ganz anderes...

Herr B. - 18. Apr, 12:35

Zumindest stehst Du als positives Beispiel dafür, dass man trotzdem was zustande bringen kann :-) Was war denn anders?
stoppl - 18. Apr, 21:08

zu deinem sehr interessanten thema ....

moechte ich dir sagen, dass es bei uns (a) auch derartige situationen gibt, aber meist nur in der bundeshauptstadt.
wir in der provinz bleiben davon noch ein wenig verschont.
ehrlich gesagt, tun mir die jugendlichen leid !!! warum ? weil sie, meiner bescheidenen meinung nach , kaum eine erziehung erfahren. begonnen hat alles mit jener generation, wo die frauen bzw. muetter berufstaetig sein wollten oder mussten. die selbstverwirklichung war in den 50er-60er jahren noch nicht DAS thema schlechthin. spaeter kam auch noch der lebensstandard dazu, den jeder haben wollte und dafuer die berufstaetigkeit der muetter in kauf nahm.
wer kuemmerte sich um die kinder (schluesselkinder) ? grossfamilien sind nicht mehr en vogue ! also blieben die kleinen mehr oder weniger sich selbst ueberlassen, mit ordentlichem taschengeld kauften sich die eltern frei. das ist fuer mich der grundstein der jetzigen entwicklung, aber ich steche mit dieser meiner meinung sicher in ein wespennest, denn heutzutage wollen die frauen kindererziehung einfach so nebenbei bewaeltigen , schliesslich wollen sie IHR leben in erster linie so gestalten, wie sie es fuer SICH richtig und angenehm finden. ob kinder immer dazupassen , ist eine andere frage.
( bevor ich ob dieser meinung virtuell gesteinigt werde....... nicht alle leben so, nicht alle kinder sind alleine, viele, viele eltern sind sich ihrer aufgabe total bewusst - aber es sind schon sehr, sehr viele, die ihren kindern das wichtigste vorenthalten - liebe und aufmerksamkeit , zuwendung und vor allem ZEIT )

Herr B. - 19. Apr, 08:38

Natürlich kann man den Kindern keinen Vorwurf machen, sie entwickeln sich schließlich nicht freiwillig so. Allerdings überlege ich nach dem Lesen Deiner Zeilen, was sich eigentlich geändert hat: In der DDR war es üblich, dass auch die Frauen gearbeitet haben. Die Kindergärten und Schulhorte waren ganztags geöffnet, es gab Jugendklubs, Jugendorganisationen (über Sinn und Unsinn der Inhalte müssen wir natürlich nicht diskutieren) und die Kinder mussten dadurch nicht auf der Straße sitzen. Auch in der heutigen Zeit ist es leider oft notwendig, dass die Frau zum Lebensunterhalt beiträgt. Aber den Kindern wird nichts mehr angeboten. Muss man nicht DA ansetzen?
stoppl - 19. Apr, 18:09

die ddr als beispiel anzufuehren...

...ist natuerlich nicht das gelbe vom ei, denn dort war ja ALLES organisiert. du hast insofern recht, dass man die kinder ganz leicht "deponieren" konnte, der STAAT sorgte dafuer, dass das bruttosozialprodukt auch durch frauenarbeit gehoben wurde. genau das fehlen von jugendeinrichtungen ist in der heutigen zeit , wo eben auch die frauen vermehrt berufstaetig sein wollen/muessen , das problem. wir wuessten schon woran es krankt und wir wuessten auch , wie man es beheben koennte , aber dazu fehlt wie ueberall.... das geld. ;-((

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